Sonntag, 31. Januar 2016

Ivo Lution wird älter

Höchste Zeit, das Thema Evolution wieder aufzunehmen. Immerhin scheinen wir uns erneut in einem Stadium zu befinden, in dem uns die Zeit davon läuft. Bei der Lektüre einer kleinen Zeitungsmeldung wurde mir klar, wie dringend darüber geredet werden muss: über die Länge des Lebens. Wir alle mussten nämlich kürzlich von Ishukuri Munate (richtiger Name von der Red. vergessen), einem 112 Jahre alten Japaner, Abschied nehmen, was zumindest mich zutiefst betroffen machte. Mein langjähriger Weggefährte Ishukuri! Dass es auch ihn treffen würde, hätte ich nicht mehr für möglich gehalten. Nun gibt es ja wie bekannt haufenweise Japaner, die über 100 Jahre alt sind – er aber war, wie verlautet, der Älteste! Er hat uns Durchschnittsalten wieder neuen Mut gemacht.

                112 Jahre – das würde für einen 70-jährigen bedeuten: Weitere 42 gute Jahre, in denen man sich z. B. noch über Fortpflanzung Gedanken machen könnte. 42 Jahre mehr Bundesliga-Fußball inklusive Abstiegssorgen um den HSV. Deutlich höhere Prognosen, noch eine Mondfinsternis zu erleben – ohne Nachtsichtbrille. Auch gäbe es womöglich die Gelegenheit, einen Lotto-Jackpot zu knacken. Vor allem aber die Aussicht, gemeinsam mit seiner Frau eine Platinum-Hochzeit zu feiern, wäre finanziell als große Ausgabe einzuplanen. Da Frauen laut Lebensweisheit länger leben als Männer (die meistens zu früh und entnervt aufgeben), dürfte das Interesse für ältere Japaner steigen. Sogar die Kontaktseiten von Partner-Suchenden werden damit angeben, dass sich dank ihrer Site über 100-jährige Frauen neu in einen Japaner verlieben.

                Leute wie Ishukuri verraten immer gern das Geheimnis ihres langen Lebens, nämlich wenig arbeiten. Ich würde noch hinzufügen: ganz aufhören! Vernünftige bezahlte Arbeit gibt es ohnehin nirgends. Frau Munate ist jetzt sauer (mindestens 10 Jahre Abzug!), weil sie seinen Grabstein bezahlen soll. Eine Ausgabe, mit der sie nicht mehr gerechnet hatte. Und da japanische Buchstaben ohnehin sorgfältig gesetzt werden wollen – in seinem Fall ein Extra-Balken über einem Strichhaus – sind das nach schlechter Börse und dem Verfall der Werte hunderttausend Yen extra auf der Rechnung. Frau Munate sieht übrigens auch nicht mehr wie früher aus, als ich mich noch um sie bewarb; ihr Gesicht ähnelt inzwischen einem Origami-Versuch aus Brotpapier.

                Ishukuri erfand immer neue Entschuldigungen für sein langes Leben. Dazu gehörten erstaunlich genug die drei FFF: Fernsehen, Familie und Fastfood. Um richtig gut alt zu werden, reicht meiner Meinung nach frische….. (Passendes wie Luft oder Brötchen bitte hinzufügen).

Samstag, 14. Februar 2015

Ivo Lutions abgelauschte Viren


Abgelauschte Viren

Dank gewisser Abhörfunktionen ist es mir möglich geworden, Aspekte der Evolution zu erforschen, von denen die Allgemeinheit nie etwas gehört hat. Eine der bisher unzugänglichen Konferenzen der Viren und Bakterien-Existenzen haben wir dabei ohne sichtbare Schäden überstanden. Jetzt hat der massive Einsatz von Kleinst-Elektronik uns sogar ermöglicht, in die allertiefste Intimsphäre dieser Mikroben vorzudringen. Die Entwicklung bleibt nicht stehen! Wir und unsere Mikroben bewegen uns inzwischen auf höchstem Niveau! Auf dem Handgriffbügel eines Einkaufwagens der Firma Lidl ließ sich folgender Annäherungsversuch zweier Viren herausfiltern:

V 1 (vermutlich männlich): Hallo da, welch hübsches Grün leuchtet mir hier entgegen. Hat man Sie etwa künstlich sichtbar gemacht?

V2 (empört weiblich): An mir ist nichts künstlich. Ich lasse mich auch nicht manipulieren.

V1: Nein selbstverständlich nicht. Sowas erkenne ich auf einen Blick. Solch einer kraftvollen Persönlichkeit begegnet man doch nicht alle Tage. Wie gern würde ich mit einem so ausgereiften Wesen eine Weile plaudern.

V2: Und woher weiß ich, dass Sie kein Antikörper sind? Außerdem ist es höchste Zeit, dass ich mir einen Wirt suche.

V1: Genau wie ich! Das ist doch kein Zufall! Genau zum richtigen Zeitpunkt! Wir sind füreinander bestimmt! Verbunden durch ein unsichtbares Band. Lassen Sie es uns doch gemeinsam versuchen. Darf ich mich vorstellen: ANO Magengrippe.

V2:  ANO bin ich auch, deshalb sollten wir vielleicht nicht. Allerdings stamme ich aus dem Süden und bin eher auf Magen-Darm-Infekte spezialisiert.

V1: Das hört man am Dialekt, wie süß das klingt. Lassen Sie mich raten: Italien? Oder genauer: Verona?

V2: Woher können Sie das denn wissen?

V1: Du. Bitte. Wir vom gleichen Stamm sollten uns doch duzen. Nun, du bist reizvoll, ich vermute voll von südlichem Temperament und Glut. Das Opfer, dem du in den Magen rutschst, entwickelt so leicht keine Antikörper mehr. Was treibt denn eine hübsche ANO wie dich in den kühlen Norden?

V2: Nun, ich habe wie so viele in Verona auf Julias Busen vor mich hin geschmachtet. Dann hat mich ein Norweger mitgenommen und hier Schnaps eingekauft. Der erledigt sich gerade selbst. Ich bin allergisch gegen Alkohol.

V1: Wir haben doch so viel gemeinsam! Warum tun wir uns nicht zusammen. Rasch, bevor jemand kommt und uns wegwischt. Wir könnten so stark sein.

V2: Ich bin aber kein Flittchen. Von wegen heute andocken und morgen verschwunden, sowas kommt mit mir nicht in Frage.

V1: Ach wie du das schon sagst! Und du wirst ja richtig dunkelgrün dabei! Wir gehören zusammen, wir sollten gemeinsam eine kleine Familie bilden…

V2: Hier, auf einem Lidl-Einkaufswagen?

V1: Wo denn sonst? Kämpfe doch nicht gegen das Unvermeidliche an.

V2: Ach du, du Wahnsinniger! Ja, dock dich an, aber langsam.

V1: So, ist‘s so gut? Oh, du machst mich verrückt, meine kleine italienische Sonne. Wie gut das mit dir ist!

Hiermit wäre das Rätsel der Viren-Vermehrung gelöst. Sicherlich ist der Vorgang bereits unter dem Mikroskop beobachtet worden, doch niemand konnte sich bisher die Intensivität und die Geschwindigkeit der Vermehrung erklären. Womöglich treffen wir die ANO’s bald in erhöhtem Aufkommen wieder. Übrigens soll das Erbrochene einer ANO-Magendarm-Grippe extrem ansteckend sein. Also ist auch auf dem Wege für Nachwuchs gesorgt.

Aktuelles Ivo-Buch: Der letzte Wikinger und andere Erzählungen, JMB Verlag, Hannover, 13 Euro

Mittwoch, 21. Januar 2015

Ivo Lution auf der Erkältungsfront


Ivo Lution über die Lage auf der Erkältungsfront.

Liebe Freunde der Evolution, heute ein aktuelles, packendes Thema, das die Entwicklung der Menschheit  in ein neues Licht stellt.

Nachdem es nämlich einem Nobelpreisträger gelungen ist, Bakterien nicht nur sichtbar zu machen sondern auch deren Gespräche untereinander abzuhören, hat eine Forschergruppe aus den U.S.A. eine dieser Diskussionen isoliert und für die Allgemeinheit aktivieren können. Ich habe der NSA diese Dokumentation abgeschwatzt (war einfach!) und für unsere Textverarbeitung kompatibel gemacht. Brisanter Stoff!

Liebe Anwesende, herzlich willkommen zur 16. Evolutions-Konferenz des Viren und Bakterien-Verbandes VBV hier in der Bundeshauptstadt. Ich freue mich, dass ihr in so hoher Anzahl und aus so vielen verschiedenen Sparten erschienen seid. Besonders begrüße ich unsere Mitglieder aus den afro-asiatischen Wirkungsgebieten, worunter sich sogar einige prominente und aktive Ebola-Vertreter aus Liberia befinden. Ihren Vorträgen, liebe Freunde, wird sicher besonders hohe Aufmerksamkeit geschenkt, davon bin ich überzeugt. Ich möchte alle Teilnehmer bei dieser Gelegenheit auf das besonders abwechslungsreiche Nebenprogramm dieser Veranstaltung aufmerksam machen, das u.a. einen Gastbesuch bei unseren Geschlechtskrankheits-Vertretern hier in der Stadt beinhaltet. Wie uns allen bekannt ist, ist es um die Geschlechtskrankheit (GK)-Szene bereits seit Jahren sehr ruhig geworden, allzu ruhig möchte ich behaupten. Daher ist es wichtig, dass wir diesen hart schuftenden Erregern, sozusagen unseren Streetworkern, erhöhte Beachtung schenken, und dass wir uns mit ihnen solidarisch erklären.  Unsere HIV-Viren, trotz der Forschungsbemühungen unserer Gegenspieler, sind nach wie vor der Rückhalt des Verbandes, womit ich die wichtige Arbeit der Erkältungs- und Grippe-Kollegen keinesfalls  vermindern will.

In meiner Eigenschaft als Vorsitzender des HN-Viren und Bakterien-Verbandes (VBV) möchte ich die versammelte Runde aber zunächst um eine Schweigeminute für diejenigen von uns bitten, die durch pharmazeutische Weiterentwicklungen,Verrat von Widerstandskörpern oder überlegene Hausmedizin gefallen sind. (Gelangweilte Geräuschresonanz). Unsere Freunde sollen nicht umsonst Opfer widriger Umstände geworden sein. Massenvernichtungsmaßnahmen, wie sie zur Zeit wieder einmal unsere HN 101-Geflügel-Freunde treffen, sind keine Form des Dialogs, wie wir ihn gern führen würden. Aber gut, wenn es dann so sein soll, liebe Freunde, wir wissen wie wir uns darauf einzustellen haben. Wie verlautet hat unser großer Pandemie-Denker Wahnfried Malerias in Afrika erneut ein gekreuztes Virus aktiviert, welches uns allen hier noch große Freude bereiten wird. Wir geben hiermit zu Protokoll, dass wir uns voll und ganz mit unseren Erregern in Afrika solidarisieren. Ich schaue in die Runde und nehme einhellige Zustimmung zur Kenntnis. Wir werden, Freunde, entsprechend handeln und unsere Bemühungen um eine weitere erfolgreiche Infektionsperiode intensivieren. Wie ich erfahre, findet der Erkältungseinstieg bereits statt. Einige von uns unternehmen anerkennenswerte Einsätze wie Krankenhausansteckungen. Großes Lob dafür gilt unserer Legionärs-Gruppe.

Zwei Punkte der Tagesordnung, die noch zu diskutieren wären, bereiten mir jedoch einige  Sorgen. Zunächst ist es um unsere Pressearbeit in Augenblick ganz schlecht bestellt: In der allgemeinen Auffassung stehen wir mittlerweile als immer leichter eliminierbar im Bewusstsein. Selbst die zur Angstmache neigende Boulevard-Presse erkennt in unseren Angriffen keine wirkliche Bedrohung mehr. Herrschaften, wenn es so weit gegangen ist, dass uns niemand mehr ernst nimmt, können wir uns nur noch mit einem Präventivschlag wieder ins Gespräch bringen! Ich frage also: wollt ihr die Totale Winteroffensive? Wollt ihr sie schärfer und nachhaltiger, als sie sich die Antikörper überhaupt vorstellen können? (Aufbrausende Zustimmung) Gut. Ich wusste, dass ich mich auf euch verlassen kann. Nun der zweite unangenehme Punkt, die anstehende Erhöhung des Mitgliedsbeitrages. Für die Förderung von neuen Penicillin- resistenten Bakterienkulturen werden Mittel benötigt; unsere Zusammenarbeit mit den Chinesen auf dem Gebiet ist zwar weit fortgeschritten, ist aber kostenintensiv. Und wie ihr wisst sind Probanden auf freiwilliger Basis kaum noch aufzutreiben, also müssen wir auf die Asiaten vertrauen. Erste Erfahrungsberichte unserer neuen Waffenbrüder sehen aber gut aus, wobei man sich offenbar wirkungsvoll an spätmittelalterliches Knowhow anlehnt. In dem Zusammenhang tauchte zwischendurch sogar ein Pest-Gerücht auf, was uns sehr vergnüglich stimmte. Bevor ich das Rednerpult für die Allgemeindebatte freigebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, das gleichzeitig mit uns ausgerechnet Vertreter des japanischen Gesundheit wesen hier im Hause tagen. Also auf Freunde, macht kaputt was euch kaputt macht! Kriecht unter ihre Gesichtsmasken, zersetzt ihre Gummihandschuhe, springt ihnen unter die Haut! Ein klares Ja zum Mief von tausend Jahren. Nach der Mittagspause – Essensmarken hierfür liegen bereit – fahren wir mit Wortmeldungen fort. Wer aber noch Anträge zur Tagesordnung hat, bitte sofort einreichen.

Ivo Lution wird die Tagung weiterhin mit großem Interesse verfolgen.

 

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Ivo Lution No 7

Ivo Lution 7 Vor der Lepra-Kuhle steht jetzt ein neuer Türwächter. Den alten hatte Ben Hur gut im Griff, doch der neue will ständig mit ihm diskutieren. Die einleitende Frage ist jedes Mal die gleiche: „Glaubst Du, ich stehe hier zum Spaß? Wir sind doch alle Teil des Ganzen. Warum soll ich ausgerechnet bei Dir eine Ausnahme machen? Und was willst Du heute hineinbringen? Wasser, wie ich sehe. Frisches Wasser in Zweiliter-Plastiktflaschen für die Unreinen! Das ist doch der reinste Hohn. Also, wie heißen Deine Verwandten noch? Mutter Hur..und? Esther. Gut. Die Esther muss vor der Krankheit verdammt gut ausgesehen haben, das lässt sich sogar in ihrem gegenwärtigen Zustand noch gut erkennen. Aber Du kannst nur auf eines dieser heilenden Gewitter hoffen, die zur Zeit und Unzeit auftauchen. Danach würde ich mich gern mal ein wenig um sie kümmern. Keimfreies Wasser, welch ein Luxus. Du hättest nicht zufällig ein kleines Fläschchen für mich dabei? Ich könnte mich beim Trinken dann kurz umdrehen uns so tun, als ob ich Dich nicht gesehen hätte. Leider, Du hast ja recht, die Korruption in diesem Lande gleicht wirklich einer Seuche. So was ist kulturbedingt, dagegen kann man als einfacher Beamter nichts unternehmen. Zumal ich gerne lese, Du hast nicht zufällig ein gutes Buch dabei? Aber bitte keines über die Hölle der Fremdenlegion oder etwa einen Sozialporno wie Meine Jahre in germanischen Salzbergwerken von Peter Tacitus. Ich kann Dir sagen: wenn ich den Namen Peter überhaupt höre. Du heißt doch nicht etwa auch Peter, Peter Ben Hur? Dann würde ich Dich sofort auf der Flucht erschlagen. Ich hatte bis vor kurzem einen Kollegen, Peter Nichtsnutzus, der sich von einigen Lepras manchmal den Vorgarten säubern ließ. Von wegen Heilkräuter pflücken. Peter bezahlte sie auch nicht. Daher wird er wohl jetzt auch irgendwo unten in den Löchern stecken und möchte nicht erkannt werden. Nein, im Vertrauen, der Dienst hier ist so abwechslungsreich nicht, und eine Lektüre würde sich für mich als überaus erquicklich erweisen. Du siehst, meinen Goetherus kann ich wohl, allein mir mangelt es am gedruckten Pergament. Ach, wie sehne ich mich nach dem süßen Nektar der Poesie…“ In diesem Augenblick drückte sich Ben Hur an dem Wächter vorbei und verschwand schnell in einem der Höhleneingänge. Dort im Lepra-Viertel traf er auf seine Schwester Esther, überreichte ihr das Wasser, und im gleichen Augenblick begann es wieder zu gewittern…. 1. Zusatz: Archäologen haben in gewissen Tälern des alten Kanaans vor kurzem Fossilien von Plastikmüll gefunden, die mindestens zweitausend Jahre alt sein könnten. 2. Zusatz: Denjenigen, die gern auch mal andere Szenen aus dem Ben-Hur-Film beschrieben haben möchten, sage ich: Geduld ist die Mutter der Evolution.

Samstag, 15. Juni 2013

Ivo Lution und Ben Hur

Ivo Lution und Ben Hur

Höchste Zeit,  dass wieder über die Entwicklung der Menschheit gesprochen wird, sonst verschwindet das Thema völlig von der Tagesordnung. Aber nachdem ich in einem Kreuzworträtsel-Wettbewerb mit Nebenfluß der Otter – vier Buchstaben – die richtige Lösung (Malp) erriet, war ich nur noch unterwegs. Der erste Preis nämlich, ein Jury-Platz für die Mount-Everest-Filmfestspiele, führte zu immer weiteren Einladungen. So war ich als gefragtes Jury-Mitglied plötzlich ständig auf Achse. Hohenhausen, Dehnbach im Ellertal oder sogar internationale Herausforderungen wie St. Etienne de Montluc, Wilhelm-Tell-Festspiele (analog, nur gerissene Filmschnitzel waren zugelassen!), der Gondelpreis des Goose-Mountain usw., das war nur der Anfang. Jetzt, in Cannes, durfte ich den Publikumspreis mitentscheiden. Wie immer begann alles mit dem Ausrollen des roten Teppichs. Danach das Glotzen der Filme. Wahnsinnig anstrengend, nur etwas für Kenner wie ich. Viele Jury-Mitglieder hatten sich in den Beitrag Orsaniens („Makkadamische Liebe“) buchstäblich verguckt – ein rührendes Drama übrigens, wobei ein Ziegenhirte sich trotz vieler hübscher, unmißverständlicher Angebote gackernder Mädchen doch letztlich für seine Ziege entscheidet. Ich genoß das Ende allerdings nicht, sondern entschied mich noch einmal für „Ben Hur“, wie bekannt einer der ersten Monumentalfilme. Der Film war zwar nicht eigentlich im Cannes-Angebot, erfüllt aber für Filmkünstler nach wie vor eine Vorbild-Funktion. Wir müssen uns zunächst erinnern, bevor wir weiterschreiten! Besonders gut gefällt mir die Szene, als Ben (oder Hur, wenn man sich nicht duzt) mutig in die Unterkünfte bzw. Höhlen der Lepra-Kranken hinuntersteigt, um Mutter und Schwester ausfindig zu machen. Die beiden, auf Anweisung der fiesen Römer dorthin deportiert, sind jedoch von dem Besuch zunächst wenig begeistert. Auch die anderen Alteingesessenen möchten lieber unter sich bleiben; niemand z.B. bietet Ben die Lepra-Zeitschrift „Mit Haut und Haaren“ an, sondern alle verschwinden schnell in die Katakomben, als der besorgte Verwandte auftaucht. Selbst das Angebot von frischen, einheimischen Jaffa-Apfelsinen (von weinerlicher Filmmusik begleitet) weiß niemand recht zu würdigen. Als Ben Mutter und Schwester endlich findet und sie schließlich an die Oberfläche zerrt, tritt ein kräftiges, nicht vorausgesagtes Gewitter auf, alles enorm symbolistisch. Nach dem Unwetter sind nicht nur Kleiderlumpen gereinigt, sondern auch die darunter versteckten Hände und Gesichter. Sowas ist hohe Filmkunst. Regisseur David Lean, der uns allen eher wegen des Pferdewagen-Wettkampfes in Erinnerung geblieben ist, hat mir privat anvertraut, dass er selbst den ständigen Durst (also das ständige Herumreichen von Wasser) als den Kernpunkt dieses Films betrachtet. „Wasser, Ivo,“ sagte er mir sachte und dabei leicht und weise lächelnd, „Wasser und Durst, das sind die Quellen unseres Wissens.“ Bitte, denkt doch mal darüber nach, wenn ihr heute euer erstes Bier trinkt.

Samstag, 9. Februar 2013

Ivo Lutions Unzufriedenheit

Ivo Lution: Über die Unzufriedenheit.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für unsere Evolution ist die eigene Unzufriedenheit. In der Unzufriedenheit liegt der Anspruch auf ein besseres Leben. Was ist, wenn wir uns, wie seit langem befürchtet, tatsächlich „im falschen Film“ befinden? Wenn unsere Bestrebungen, wie z.B. ein besserer Mensch zu werden, völlig aussichtslos sind? Wenn wir im Grunde überhaupt keine Chance besitzen, vor dem Jüngsten (oder eigentlich Ältesten?) Gericht – oder in Karlsruhe – ein weiterführendes Element unseres Leben anzugeben? „Ich habe zumindest nachgedacht“ wird nicht reichen. Dass wir kein Geld verdient haben, dafür aber singen, malen oder schreiben konnten, dürfte uns auch nicht weiterbringen. Dass wir uns vermehrt haben, brächte ebenfalls nichts; das könnte einem sogar zur Last gelegt werden. Hat sich die Evolution vielleicht doch mit den Indern und deren Karma geeinigt? Das Leben als ein einziges großes Mißverständnis? Unser Hirn ein Schmetterling und unsere Lauferei zum Supermarkt jener Weg, der das Ziel sein soll? Und die wirklich einzige menschliche Freude ist in Indien in Stein gehauen und beinhaltet mindestens fünfzig verschiedene Stellungen? Und was dabei rauskommt ist im Grunde unbrauchbar? Fragen über Fragen. Wer sagt uns endlich die Wahrheit? Oder ist sie es etwa, die plötzlich neben dir auf dem Kneipenhocker sitzt und dir so nebenbei erzählt: So, noch ein Bier und du bist echt hin. Ist das alles, wirklich alles, was sie einem mitzuteilen hat? Dass es niemanden gibt (gute Freunde sind inzwischen so gut wie ausgestorben), der einem schwört, dass alles in Ordnung ist, was man tut, ist ein Mangel und eine der Ursachen der Unzufriedenheit. Außerdem wirft einen allein der Gedanke um, du könntest betrogen worden sein, und dein echter Vater hat irgendwo auf einer karibischen Insel einen ganzen Staat gezeugt, dich jedoch geflissentlich in seinen Memoiren vergessen. Oder aber du bist bei der Geburt verwechselt worden (weder Haut- noch Augenfarbe passten). Wo gehören wir also wirklich hin? Womöglich in eine Jury, die über andere zu urteilen hat? Übrigens herrscht ausgebreitete Unzufriedenheit auch über zu wenig Schlaf. Was wenn die Eizellen oder das Sperma unserer Erzeuger voll von Anti-Einschlaf-Genen waren? Und das erste, worüber dich deine unzufriedene Mutter dann aufklärt ist: „Was sollten wir denn tun? Wir konnten ja nicht einschlafen“. Evolution pur.

Donnerstag, 24. Januar 2013

Ivo Lutions Erfolge

Ivo Lutions Erfolge. Trotz einiger üblen Einbrüche der Evolution (wie eine verlorene Wette), die uns das Fernsehen vermittelt, gibt es zuweilen doch herzerwärmende Fortschritte. So durfte ich einen Bericht über die Ägäis verfolgen, worin einem älteren Inselbewohner vor laufender Kamera endlich erlaubt wurde, neben dem Dorfältesten auf der Dorfbank in der Mitte der Ortschaft Platz zu nehmen. Ein riesiger evolutionärer Schritt. Dem alten Mann standen vor Rührung Tränen in den Augen. Der Alte, nennen wir ihn Sitzos der Grieche, wurde nach einigen Ouzos gesprächig und erzählte aus seinem spannenden Leben.
Sitzos: „Zwanzig Jahre habe ich dafür gekämpft, dass ich endlich in der Sonne sitzen darf. Wissen Sie, für uns hier bedeutet das alles. Früher als ich noch ein junger Mann war, machten mir die Mädchen schöne Augen. Aber was ist das wert? Nichts. Hier in der Sonne sitzen, den Touristen alte Lügen auftischen und sich einige Klare dafür ausgeben lassen, das ist das Leben. Haltet mir doch bloß die alten Weiber vom Hals. Jammern und Klagen können die, das ist alles. Und die jungen Leute ziehen fort von hier. Stehen in Hamburg auf dem Rathausmarkt und verkaufen Ouzos und Schafskäse,“ nörgelt er. „Und wer soll die Schafe hüten? Ich traue dem Mann von der Bank nicht, der gerade vorbeikommt und grüßt, der macht sich ein gutes Leben auf unsere Kosten…“ Sitzos darf nicht ausreden, der Dorfälteste beschimpft ihn, während die Kamera über die von der Sonne versengte Landschaft schwenkt. Man erzählt sich viel über Sitzos den Griechen. Solch ein Schlitzohr – es gibt sogar ein Lied über ihn; denn hier ist das Leben noch voller Frauen und Gesang. Deshalb sind seine Nachkommen auch über die ganze Inselwelt verteilt. Ja, so ist das in der Ägäis. Eine Fähre zur Nachbarinsel hat pleite gemacht. Nun ist der Alte, der drüben Kinder hat, auf den Fischer angewiesen. Sitzos fletscht erbost die Zähne. Davon hat er noch drei oben und einige mehr unten, allesamt vergammelt, aber einen klugen Kopf besitzt er, das sagen alle.

Es gibt noch viele andere Orte auf der Erde, wo sich die Evolution dank/trotz widriger Umstände durchsetzt. Zum Beispiel verdient sich Miguel am unteren Zipfel Südamerikas durch Schafzucht sein Einkommen. Auch er nörgelt, während er mit Hilfe seines Pferdes die Herde zusammentreibt und sie von der Sommer- auf die Winter-Graslandschaft bringt. Arschkälte, flucht er, etwas im patagonischen Dialekt, was auf Spanisch etwa Los muchos Arschos Frostos heißt. 200 Euros verdient er monatlich, was viel ist in dieser Gegend. Aber seine Freiheit, die hat er – ganz umsonst. Auch ziemlich weit nördlich am Bering-See ist es kalt, aber davon spricht Gutsev nicht, er hat andere Sorgen. Der Motor seines Hilfsbootes streikt, und nun muss er sich etwas einfallen lassen. Kein Boot – kein Fisch, und wenn seine Frau (im Seehundsfell) erst anfängt zu keifen, weil ohne Fisch die vielen Mäuler hungrig bleiben müssen, dann macht ihm der Tag keinen Spaß mehr. Gutsev denkt, denkt lange. Noch zwei Stunden, dann kommt die Dunkelheit und verschlingt das Licht. Er wird, was ihn sehr schmerzt, gegen Wodka beim Nachbarn eine Zündkerze eintauschen müssen.

Sowas ist Überleben pur! Erfolge der Evolution. Während wir im gemütlichen Stübchen sitzen und Malefiz spielen, kämpfen Menschen wie Miguel und Gutsev um jeden einzelnen Tag ihres Daseins! Tja. Ich muss sagen, ich bin stolz.